Taucher findet gesunkenes Ledischiff
Gut 350 Meter vor der Stäfner Badi Lattenberg hat Taucher Adelrich Uhr ein Ledischiff aus dem 19. Jahrhundert entdeckt. Ein Petroltank sowie ein Schuh in unmittelbarer Nähe des Wracks ziehen ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Sechs Minuten dauert der Film, er öffnet ein Fenster in die Vergangenheit. Ein Schiff liegt auf dem Seegrund, zum ersten Mal seit über 100 Jahren bekommt ein Mensch es wieder zu Gesicht. Taucher Adelrich Uhr filmt fortlaufend, was er in gut 20 Meter Tiefe vorfindet: zuerst den Bug, der deutlich aus dem Sediment herausragt, dann die Planken, ein Eimer voll Schlick oder Sand, eine Schiffskabine mit Fenstern, aber ohne Dach. Danach ein Steuerrad und ein Anker, der ein jüngeres Modell zu sein scheint. Vermutlich hat ihn jemand genau über dem Wrack verloren, ebenso das gelbe Körbchen aus unseren Tagen, das sich auf dem Deck befindet.
Schliesslich folgt ein Fund etwas abseits des Boots, der wilde Assoziationen weckt: ein schwarzer Lederschuh, der aus dem Schlamm herausragt. Was ist hier geschehen? Hat der Schuh etwas mit dem gesunkenen Schiff zu tun oder ist er erst später jemandem ins Wasser gefallen? Was ist die Geschichte des Schiffs? Adelrich Uhr will das Geheimnis mit weiteren Mitgliedern der Swiss Archeodivers lüften. Der Tauchverein, dem Hobby-Unterwasserarchäologen angehören, hat es sich zum Ziel gemacht, historische Wracks zu untersuchen.
Viele Kähne waren überladen
Im Zürichsee gibt es viele Wracks, da dieser bis zum Aufkommen der Eisenbahn der wichtigste Verkehrsweg war und Transportkähne aus Kostendruck oft so stark überladen wurden, dass sie sanken. Hinweise, wo Wracks liegen könnten, liefern Sonaraufnahmen der Zürcher Kantonsarchäologie, die Uhr studieren durfte. Mittels Schallimpulsen wurde der Seegrund kartografiert. Auf den Aufnahmen zeichnen sich mehrere leichte Erhebungen ab, die unnatürlich wirken.
Ein Ausflug in die Tiefen des Zürichsees – gefilmt mit der Unterwasser-Kamera. Quelle: Adelrich Uhr
Jene vor der Stäfner Badi Lattenberg, rund 350 Meter vom Ufer entfernt, wollte Uhr genauer erkunden. Ein erster Tauchversuch im April verlief trotz genauer Koordinaten ergebnislos, Uhr wurde im Sturm abgetrieben. Vor zwei Wochen klappte es aber: Plötzlich hatte er das Wrack vor Augen – ein Ledischiff, das 15 bis 18 Meter lang ist.
Uhr hat schon nach mehreren gesunkenen Ledischiffen im Zürichsee getaucht, vor Obermeilen, Freienbach und Bäch. Das Boot vor der Badi Lattenberg unterscheidet sich von jenen, die er bisher gesehen hat. Es besteht es einem älteren Unterbau, der zwischen 1860 und 1880 gezimmert worden sein muss. Später kam offenbar ein Aufbau hinzu: Mit Hilfe von Metallträgern wurde das Boot erhöht und vergrössert.
Später mit Motor aufgerüstet
«Das Wrack stammt vermutlich aus der Zeit, in der Ledischiffe aufgerüstet und mit Motoren versehen wurde», sagt Uhr. Tatsächlich liegt an Bord ein Behälter, der wie ein Petroltank aussieht. Einen Motor hat Uhr hingegen nicht ausgemacht, da das Heck im Schlamm versunken ist.
Mit seinem Team will der Taucher nun nach dem Motor suchen, sofern ihm die Kantonsarchäologie die dafür notwendige Bewilligung erteilt. Auch die Schiffsschraube möchte er finden, das Wrack ausmessen, eine Probe aus dem mutmasslichen Petroltank nehmen, Fundstücke wie den Schuh untersuchen und die mögliche Ladung des Kahns – es scheint auf den ersten Blick leer zu sein – bestimmen. Hinweise über die Herkunft des Ledischiffs erhofft er sich aus alten Schiffsregistern des Kantons. Denn Besitzer von Lastschiffen mussten ihre Boote eintragen lassen.
Ein Unglück vor 136 Jahren
Unglücksmeldungen in Zeitungen könnten ebenfalls Aufschluss über das Schiff geben. Eine Archivrecherche der ZSZ hat Zeitungsberichte aus dem 19. Jahrhundert zu Tage gebracht, die ein Schiffsunglück vor dem Lattenberg schildern: Sowohl die NZZ als auch das «Wochenblatt des Bezirkes Meilen», ein Vorgänger der «Zürichsee-Zeitung», berichteten in ihren Ausgaben vom 22. Dezember 1880 über zwei Schiffe, die tags zuvor in einen Sturm geraten waren. Je nach Darstellung sanken sie, fuhren am Ufer auf oder wurden zertrümmert. Ums Leben kam dabei niemand. Das eine Schiff hatte Steine – vermutlich Mergel – geladen, das andere Sand oder Erde.
Ob es sich beim Wrack auf dem Seegrund um eines dieser Schiffe handelt, ist jedoch fraglich. Denn gemäss heutigen Erkenntnissen waren Ledischiffe zu dieser Zeit noch nicht mit Motoren ausgerüstet. Erst ab 1893 begann die Firma Saurer, Petrolmotoren in Ledischiffe einzubauen. Zuvor waren diese lediglich mit Rudern und Segeln ausgestattet.
Petrolmotoren sind technikgeschichtlich von Interesse, weil sie den Übergang von Dampfmaschinen zu Benzinmotoren darstellen. Ihre Blütezeit dauerte nur wenige Jahre und war bereits nach 1900 vorbei, als Benzin günstiger wurde als Petroleum. Es sind praktisch keine Exemplare mehr erhalten. Der Fund eines weiteren Motors wäre deshalb spektakulär. Bekanntestes Beispiel ist jener des Transportnauens «Flora», der 1899 im Vierwaldstättersee sank. Der Motor wurde vor kurzem geborgen und ist heute im Verkehrshaus in Luzern ausgestellt.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch