Wo sich der Duft von Zigarren und Büchern vermischte
Im Rahmen der Ausstellung «Schreibrausch» im Literaturmuseum Strauhof widmete sich ein Abend ganz dem Dichter Thomas Mann. Wo schrieb der Autor ?, lautete die Leitfrage. In Kilchberg, eine der Antworten.

«Ich kann überall arbeiten, nur muss ich ein Dach über dem Kopf haben», schrieb Thomas Mann über seinen Arbeitsprozess. Der freie Himmel sei gut zum unverbindlichen Träumen und Entwerfen: die genaue Arbeit verlange aber den Schutz einer Zimmerdecke. Dieser, sein Schreibort, war der thematische Fixpunkt eines Vortrages im Rahmen der Ausstellung «Schreibrausch» im Literaturmuseum Strauhof. Katrin Bedenig vom Thomas-Mann-Archiv ging am Donnerstagabend den Fragen nach, wo und wie das mehrere Tausend Seiten umfassende Werk entstand.
Pedantische Routine
Wie bedeutungsvoll der Arbeitsort für Thomas Manns Schaffen war, zeige sich exemplarisch darin, dass die gesamte Möblierung seines Arbeitszimmers als Teil des Nachlasses dem Archiv übergeben wurde. «Für Thomas Mann waren Fakten, die Welt des Fassbaren, die Gegenständlichkeit, zentral für die Inspiration», erklärt Bedenig.
In seinem Büro seien nebst überfüllten Bücherschränken und Türmen von Dokumenten auch Statuen, Parfümflakons, Vasen zu sehen gewesen — Dinge, die auch in seine Dichtung Eingang fanden. Zur Veranschaulichung führt Bedenig ein Zitat des Autors an: «Der Einfall als Überfall ist mir unbekannt.» Wichtiger als die Imagination und spontane Eingebung waren die Akribie und die Routine für die Entstehung der Manuskripte.
Deshalb ist Mann der Kontrapunkt zur Ausstellung «Schreibrausch». Wie ein roter Faden zieht sich die Methodik, ja Pedanterie, durch den Schreibprozess des Autors. «Manns regelmässiges, kontrolliertes Schreiben ist der Kontrast zum Rausch eines Kafkas, in einer Nacht ein Buch zu schreiben. Dennoch hat er mit seinem Schreibtempo von einer Seite pro Tag ein Gesamtwerk von über 7000 Seiten geschaffen», erklärt Rémi Jaccard, Co-Leiter des Strauhofs.
Der Autor berühmter Werke wie «Buddenbrooks» und «Der Zauberberg» und «Tod in Venedig» selbst betonte, er arbeite nur vormittags, aber dafür täglich, mit seltenen Ausnahmen. «Das ist nicht Zwang, sondern Gewohnheit, und eine notwendige; denn will ich etwas zustande bringen, so darf ich nicht viel Ferien machen.» Dieses Zitat des Erzählers ziert die Ecke der Ausstellung, die sich Thomas Mann widmet. Gleich darunter liegt unter Glas ein Zeitungsbericht der «Wochenzeitung» vom 3. Dezember 1954, knapp ein Jahr vor Thomas Manns Tod. In seinem Kilchberger Heim wurde der damals 79-Jährige zu seiner Arbeitsweise befragt.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Mann nach wie vor täglich. Mit dem ihm eigenen «protestantischen Arbeitsethos», so Bedenig, hielt er an seiner Routine fest — trotz einer schweren Lungenoperation. Seit der Operation jedoch nicht mehr am Schreibtisch, denn dies sei zu beschwerlich geworden, gestand der «Buddenbrooks»-Autor dem Journalisten der Wochenzeitung, sondern auf dem Sofa. Immer von Hand, immer auf unliniertes Papier, immer rauchend. Und diese konstante Tätigkeit spiegle sich auch im immer gleichen Setting, das er sich mit seinem Schreibtisch an unterschiedlichen Wohnsitzen einrichtete, zeichnet Strauhof-Leiter Jaccard die Brücke zum Schreibort Manns nach.
Von einer besonderen Atmosphäre war dieser, schildert Bedenig in den Worten des Sohnes Klaus Mann: «Es war uns immer festlich zumute, wenn wir sein Arbeitszimmer betreten durften, wo das charakteristische Aroma der Bibliothek sich mit dem Duft seiner Zigarre vermischte.» Viele Häuser hat Thomas Mann im Laufe seines Lebens bewohnt: in Deutschland, Litauen, Frankreich, den USA. In Kilchberg, schliesslich, fanden die Manns nach Jahren des Exils ihr letztes Heim. Hier fand er seine letzte Ruhestätte.
Haus am Zürichsee
Ein Haus am Zürichsee war ein lang gehegter Wunsch des Schriftstellers. Er liebe die Schweiz, hielt der Autor 1923 fest, und einige Jahre später, 1934, drückte er in einem Brief den Wunsch aus, hier begraben zu werden. Dieser Wunsch sollte 1955 in Erfüllung gehen. Im Krieg wurde die Schweiz für ihn als Exilant überlebenswichtig. Von 1933 bis 1938 lebte er in Küsnacht, bevor er im Zweiten Weltkrieg in die Staaten emigrierte. Um in den Fünfzigerjahren wieder zurückzukehren. Glücklich zeigte er sich darüber, die Villa in ‹Kilchi› gefunden zu haben — hier soll er sich endlich geborgen gefühlt haben, wird seine Tochter Elisabeth Mann zitiert. Hier sollte der Dichter entschädigt werden für die zahlreichen Häuser, die, wie er schrieb, «in den Schwaden dessen, was man Weltgeschehen nennt», entschwanden.
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